„Versorgungssicherheit mit gesunden Lebensmitteln gibt es nur mit einer Planungssicherheit für den Biolandbau!“
BIO AUSTRIA NÖ und Wien Obmann Otto Gasselich im Interview über die notwendige Planungssicherheit in der Landwirtschaft.
Herr Obmann Gasselich, Covid-19 hat in den letzten Monaten alle Gesellschaftsbereiche heimgesucht. Wie wirken sich das Virus und die politischen Maßnahmen auf die Arbeit von BIO AUSTRIA Niederösterreich und Wien aus?
Für die Natur und für die Landwirtschaft gibt es ja keinen ‚Lockdown‘. Gerade jetzt zeigt sich, wie existentiell wichtig eine Versorgungssicherheit mit gesunden, biologischen Lebensmitteln ist. Freilich sind wir als Verband in dieser Krise täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Beispielsweise war es durch die Ein- und Ausreisebeschränkungen äußerst schwierig, für die Beikrautregulierung Arbeitskräfte aus Osteuropa wie Polen, der Slowakei oder Rumänien zu bekommen. Das gelingt uns jetzt dank der guten Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Branchenverband für Obst und Gemüse – dem ÖBOG – ganz gut.
In den Medien hieß es, den Bauern wären ‚Ostblock-Hackler‘ lieber als freiwillige Österreicher, die sich auf der Erntehelfer-Plattform des Ministeriums melden.
Nein, so kann man das nicht sagen. Da haben ein paar am eigentlichen Problem vorbeigeschrieben. Uns freut die große Resonanz überaus, und ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei diesen vielen, engagierten Leuten bedanken. Vielen ist allerdings nicht die Schwere einer landwirtschaftlichen Arbeit bewusst und es fehlt ihnen auch die nötige Zeit. Mit ein, zwei Tagen oder einer Woche im Sommer lässt sich keine landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten – aber nochmals: Wir sind diesen Menschen sehr dankbar und sie leisten ergänzend zu erfahrenen ErntehelferInnen einen wichtigen Beitrag.
Wer sich wie der Biolandbau für eine Versorgungssicherheit mit gesunden Lebensmitteln einsetzt, braucht doch auch selbst eine wirtschaftliche Planungssicherheit – ist das aktuell politisch gewährleistet?
Genau darum geht es uns. Kein Biobetrieb soll in dieser schweren Zeit durch Unklarheiten bei der EU-Bio-Verordnung und der GAP ins Leere wirtschaften. Deshalb setzen wir uns gerade mit dem Europäischen Bio-Dachverband und dem Österreichischen Bauernbund für eine Verschiebung der EU-Bio-Verordnung auf den 1. Jänner 2022 ein. Hier gab es schon vor Corona noch wesentliche Details zu klären, und ein überstürztes Handeln bringt jetzt niemandem was, außer Kopfweh. Ich bin zuversichtlich, dass uns diese Verschiebung gemeinsam gelingt. Das müsste auch bei der Neuausrichtung der GAP der Fall sein, die nach unserem Wunsch erst am 1. Jänner 2023 in Kraft treten sollte. Wie gesagt: Die Versorgungssicherheit mit gesunden Lebensmitteln für unsere Gesellschaft gibt es nur mit einer Planungssicherheit für die Biobäuerinnen und Biobauern. Das muss von der Politik verstanden und umgesetzt werden.
Nochmals zur geforderten Verschiebung der EU-Bio-Verordnung auf das Jahr 2022: Hat die Verschiebung auch Auswirkungen auf die neue Weidehaltung?
Nein, leider nicht. Bei der ‚Weidehaltung neu‘ geht es um die Umsetzung der bestehenden EU-Bio-Verordnung. Also um eine politische Sichtweise auf die bestehende Verordnung, die ich nach wie vor nicht gut heiße und für einen falschen Weg halte.
Beim Dichter Hölderlin heißt es: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende“. Dies könnte man bei der gegenwärtigen Corona-Krise auf die Ernährung ummünzen – so bescheinigt etwa eine aktuelle AMA Studie den Österreichern seit der Pandemie ein gesünderes Essverhalten. Ist das eine Chance für den Biolandbau?
Das stimmt schon, aber eine Chance muss man auch konsequent nutzen, sonst wird aus ihr bloß eine vertane Gelegenheit. Wir erleben gerade, wie wichtig den Leuten heimische, gesunde Bio-Lebensmittel sind. Ja, welche Landwirtschaftsform kann schon besser eine regionale, unabhängige Versorgung garantieren als der Biolandbau? Denken wir nur an unseren strikten Verzicht auf chemisch-synthetische Düngemittel: Bio ist hier nicht von irgendwelchen ausländischen Importen und Energieaufkommen anhängig. Die globale Umweltzerstörung und die Abhängigkeiten von internationalen Chemiekonzernen sind ja eine Spirale, aus der wir unbedingt raus müssen. Selbiges gilt freilich auch für die Soja-Futtermittelimporte. Viele Menschen sind jetzt zu einem nachhaltigen Umdenken bereit. Es braucht dafür allerdings auch neue politische Initiativen und werbliche Maßnahmen, denn alleine als Verband und mit unseren begrenzten finanziellen Mitteln können wir diese Aufgabe nicht stemmen.
Also hoffen wir abschließend, dass allerorts und in allen Köpfen das ‚Rettende‘ wächst.
‚Hoffen‘ wird leider zu wenig sein, wir müssen auch das Richtige tun. Denn vergessen wir bitte in diesem Zusammenhang eines nicht: Gegen Covid-19 wird es in absehbarer Zeit einen Impfstoff geben – aber der Klimawandel und seine verheerenden Auswirkungen schreiten weiter. Gegen unsere Unvernunft beim Klimawandel brauchen wir ebenfalls dringend einen „geistigen Impfstoff“. Es ist jetzt schon das dritte Jahr hintereinander, dass es in weiten Gebieten Europas im Frühjahr über Monate hinweg nicht mehr regnet. Diesen Trend müssen wir unbedingt stoppen – und seitens der Landwirtschaft kann das nur heißen, noch konsequenter auf den Biolandbau zu setzen.
Das Gespräch führte Wilfried Oschischnig, pr-manufaktur.