Wenn es auf der Windschutzscheibe nicht mehr klatscht …

© BIO AUSTRIA / Marlene Wolfsteiner

… liegt das daran, dass das Insektenaufkommen in den letzten Jahrzehnten drastisch geschrumpft ist. Falls Sie jetzt nicht wissen, wovon die Rede ist, sind Sie wahrscheinlich jünger als 30 Jahre und haben nie erlebt, dass die Windschutzscheibe bei Fahrten über die Landstraße innerhalb kürzester Zeit schwarz von Insekten ist. Ihre Eltern werden es Ihnen betätigen.

Krefeld-Studie

2017 bestimmte der entomologische Verein Krefeld gemeinsam mit Forschern der Radboud Universität Nijmegen (Niederlande) und der University of Sussex (Großbritannien) die Biomasse von Fluginsekten.

An 63 in Schutzgebieten liegenden Standorten in Deutschland wurde mithilfe von Malaisefallen der Bestand gemessen. Diese zeltartigen Fallen werden in den Flugschneisen der Insekten aufgestellt, die sofort getötet und gleichzeitig konserviert werden. Die Messergebnisse waren erschreckend: in den letzten 27 Jahren ist der Bestand um 76,7 Prozent zurückgegangen, im Hochsommer, der für die Insekten aktivsten Zeit, sogar um bis zu 81,6 Prozent. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es außerhalb dieser nicht intensiv genutzten, geschützten Gebiete aussieht.

Die Krefeld-Studie hat zwar kurzfristig für Aufsehen gesorgt, ernsthafte Konsequenzen wurden daraus jedoch nicht gezogen. Wohl auch deswegen, weil die Ursachen für das Insektensterben multifaktoriell sind. So kann jede mögliche Verursachergruppe der anderen den schwarzen Peter zuschieben, um weiter wie bisher zu agieren. Einigkeit herrscht darüber, dass Insekten zahlreiche, unverzichtbare Aufgaben erfüllen und dass deren Verschwinden dramatische Folgen hat.

Keine Insekten mehr in 100 Jahren

Erst in jüngster Zeit wurde das mediale Interesse am Thema Insektensterben wieder stärker geweckt – Ursache hierfür war die Veröffentlichung einer Übersichtsstudie im Journal of Biological Conservation. In dieser Arbeit haben Francisco Sánchez-Bayo von der University Sidney und Kris Wyckhuys von der China Academy of Agricultural Sciences mit ihrem Team 73 Studien ausgewertet, die die Erkenntnisse der Krefeld-Studie untermauern.

Die Forscher haben festgestellt, dass jährlich 2,5 Prozent der Insekten weltweit aussterben. Wird diese Entwicklung nicht gestoppt, gibt es in 10 Jahren ein Viertel weniger Insekten, in 50 Jahren nur noch halb so viele und in 100 Jahren gar keine mehr. Wenn das Insektensterben nicht aufgehalten werden kann, wird das laut Francisco Sánchez-Bayo katastrophale Folgen für das Ökosystem Erde und das Überleben der Menschheit haben.
Gemessen an den Folgen des globalen Insektensterbens ist der öffentliche Aufschrei nach wie vor erstaunlich verhalten. Doch welche sind eigentlich die unverzichtbaren Aufgaben, die diese mit einem Anteil von 60 Prozent größte Tiergruppe erfüllt?

Insekten als Bestäuber

© BIO AUSTRIA/ Veronika Edler

Die meisten Blütenpflanzen sind auf die Bestäubung von Insekten angewiesen, in Europa 4.000 Gemüsesorten sogar alleine auf die der Bienen, Wildbienen und Hummeln.
Weltweit wird der wirtschaftliche Wert der Bestäubungsleistung für die Landwirtschaft auf satte 153 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Ein Fortschreiten des Insektensterbens hätte merkliche Ertragsrückgänge bei Obst- und Gemüse bis hin zu kompletten Ernteausfällen zur Folge. Schon heute ist die Handbestäubung von Obstplantagen in China durchaus üblich. In Amerika werden riesige Bienenvölker per Truck von einer Mandelplantage zur nächsten verfrachtet, weil es keine natürlich vorkommenden Bestäuber mehr gibt. Sehr anschaulich hat das bereits 2012 Markus Imhoof in seinem Dokumentarfilm „More than Honey“ dargestellt. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, werden wir uns in Zukunft bald auf Getreide, das durch den Wind bestäubt wird, als primäre pflanzliche Nahrungsquelle einstellen und auf Obst und Gemüse verzichten müssen.

Insekten als Nahrungsquelle

© BIO AUSTRIA

Insekten sind eine wichtige Nahrungsquelle für Millionen von Kleintieren und andere Insekten. Fallen sie als Nahrungsquelle für Vögel, Fische, Spinnen etc. aus, bricht dominoartig ein wohlausgeklügeltes Ökosystem zusammen, an deren einem Ende der Nahrungskette die Insekten, am anderen wir Menschen stehen. Unsere Existenz steht an der Kippe, und die wenigsten wollen es wahrhaben.

Insekten als Recycler und „Hygienepolizei“

Abgestorbene Pflanzenteile und totes Holz werden von Insekten „recycelt“, indem sie in Nährstoffe für den Boden umgewandelt werden. Ähnliches geschieht mit Tiermist und Tierkadavern, auch sie werden zu Biomasse. Durch den schnelleren Abbauprozess wird zudem verhindert, dass sich Pilze und Bakterien – potentielle Verursacher von Seuchen – unverhältnismäßig vermehren. Außerdem führen vermehrte Nahrungsabfälle, die nicht rasch genug in Biomasse umgewandelt werden können, zu größeren Ratten- und Taubenpopulationen, wodurch das Auftreten von Krankheiten begünstigt würde, die durch diese übertragen werden.

Die Natur ist ein ausgeklügeltes System – entfernt man einen Baustein, wie winzig dieser auch sein mag, kann leicht das ganze Haus zusammenbrechen. Was aber können wir tun?

Jede/r Einzelne kann einen Beitrag leisten

Egal, ob Sie am Land oder in der Stadt wohnen, einen Garten oder nur ein Fensterbrett zur freien Entfaltung haben – Sie können etwas tun.

  • Zu biologischen Nahrungsmitteln greifen. Biobäuerinnen und Biobauern verzichten auf den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide und schnelllöslicher Düngemittel, deren Einsatz von Wissenschaftlern neben dem Verlust der Lebensräume als Hauptursache für das Artensterben identifiziert wurde.
  • Sich in den Gemeinden für Pestizidfreiheit und „nicht aufgeräumte“ Grünflächen einsetzen.
  • Im eigenen Garten auf den Einsatz von Pestiziden verzichten und stattdessen biologisch gärtnern.
  • Insektenfreundliche Pflanzen für Blumenkisten, Kübel und Garten wählen (siehe Kasten). Wilde Ecken stehen lassen, sie dienen Insekten und anderen Nützlingen als Lebensraum und Nahrungsquelle.
  • Bunte Blumenwiesen anlegen statt eines englischen Rasens oder großer Kiesflächen. Wiesen nicht zu oft mähen, damit Wildblumen blühen und sich vermehren können.

Pflanzen mit hohem Nektar-und Pollengehalt

© FRAUKOEPPL
  • Februar:
    Krokus, Huflattich, Gewöhnliches Hirtentäschel, Schwarze und Stinkende Nieswurz
  • März:
    Küchenschelle, Zweiblättriger Blaustern, Weide, Pestwurz
  • April:
    Apfel- und Birnbaum, Zaun-Wicke, Löwenzahn, Scheinquitte, Kirsche
  • Mai:
    Echte Steinklee, Wilde Möhre, div. Kleearten, Esparsette, Himbeere
  • Juni:
    Wiesenmargerite, Ackerdistel, Weißer Senf, Schafgarbe, weißer Steinklee, Katzenminze, Blaue Himmelsleiter
  • Juli:
    Glockenblume, Ysop-Bienenkraut, Malve, Vogelwicke, Wilde Karde, Wegwarte
  • August:
    Sonnenblume, Prachtkerze, Bartblume, Besenheide
  • September:
    Aster, Sonnenhut
  • Oktober:
    Fetthenne, Efeu

Autorin: Nadia El Daly

Empfehlung:

Weitere interessante Artikel finden Sie in unserem KonsumentInnenmagazin BioLife, erhältlich in ausgesuchten Hofläden und auf Bio-Märkten – oder als Download.

Nützliche Adressen:

www.biohelp.at – Biologische Pflanzenschutzmittel
www.reinsaat.at – Biologisches Saatgut
www.arche-noah.at – Biologisches Saatgut
www.biomaps.at – Bio-Produkte direkt vom Biobauern bzw. von der Biobäuerin
www.naturverbindet.at – Kampagne des Naturschutzbundes
www.lebendigefelder.at – Patenschaften zum Schutz der Biodiversität