Jungpflanzen vitalisieren; Es braucht Übung und Erfahrung

© Ing. (FH) Sonja Stockmann, LK Steiermark

Viele Bio-Betriebe sind am Einsatz von Pflanzenstärkungsmitteln interessiert. Die Bandbreite an Produkten ist groß, für die Anwendung sind Erfahrung und Gespür wichtig.

Landwirte sind häufig unsicher, wenn es um die Anwendung von Pflanzenstärkungsmitteln geht. Sie sind jedenfalls kein Ersatz für Pflanzenschutzmittel, sondern Teil eines Konzeptes der Pflanzenvitalisierung.

Abwehr aktivieren

Bei der Pflanzenvitalisierung wird Altbewährtes mit neuen Errungenschaften verbunden. Die Erfahrung des vielgenannten „Grünen Daumens“ wird vereint mit Erkenntnissen der modernen Wissenschaft. Die Tatsache, dass Pflanzen akut unter Stress leiden können, eine komplexe Art der Kommunikation betreiben und findige Abwehrmechanismen aktivieren und nutzen, zählt zu diesen Erkenntnissen. In der gärtnerischen Lehre werden diese Themen jedoch nicht ausreichend abgehandelt, um eine gute Wissensbasis für die Praxis zu schaffen.

Das Grundkonzept der Pflanzenvitalisierung beinhaltet den Aufbau eines gesunden Mikrobioms rund um die Pflanze und beste Kulturbedingungen, um unnötigen Stress zu vermeiden beziehungsweise durch gezielte Anwendungen von Stimulanzien Stress auszugleichen sowie die Abwehrmechanismen im Bedarfsfall gezielt zu aktivieren.

Die drei Hauptwirkbereiche für vitalisierende Maßnahmen sind der Boden (Wiederbelebung und Aktivierung), die Pflanze (Stressreduzierung, Vitalisierung, geförderte Wurzelbildung) und die gezielte Nutzung von Effekten. Dazu zählen Resistenzinduktion durch Anwendung von Stimulanzien, die Abwehr stimulierend wirken und Antagonismus durch den Einsatz von Mikroorganismen-Präparaten, die einen schützenden Biofilm aufbauen.

Standort ist wichtig

Praktisch relevante Einsatzphasen gestalten sich im Allgemeinen angepasst an die jeweiligen Kulturabläufe wie Bodenaufbereitung vor der Pflanzung, zur Aussaat beziehungsweise beim Pikieren oder Umtopfen, Anwendungen bei Jungpflanzen, Grundstärkung und Kultur begleitende Maßnahmen bei Dauerkulturen sowie beim gezielten Einsatz bei aufkommendem Schaderregerdruck.

Da die Produktion von Jungpflanzen auch die Kultivierung von Mutterpflanzen zur Abnahme von Stecklingen oder dem Sammeln von Saatgut miteinbeziehen kann, können alle Bereiche in Erwägung gezogen werden. Eine vitale Mutterpflanze spendet immer auch gesünderes Pflanzenmaterial. Den Aspekten der gelernten Abwehr und der Anpassung an Standortbedingungen sollte besonderes Augenmerk gewidmet werden. Denn eine Pflanze als standortgebundenes Wesen muss sich den jeweiligen Standortbedingungen anpassen und lernt mit den Gefährdungen umzugehen. Diese Standortanpassung kann genetisch festgelegt und an bis zu drei Generationen weitervererbt werden.

Mutterpflanzen, die unter optimalen Vermehrungsbedingungen herangezogen werden, bringen keine Stecklinge oder Samen hervor, die robust gegen Standortmängel sind wie Lichtintension, Schwankungen im Wasserhaushalt und der Temperatur. So gesehen spielt die genetische Information eine wesentliche Rolle für die Sortenwahl und die Kulturbedingungen der Mutterpflanze. Eine verweichlichte Mutterpflanze aufgrund „zu“ optimaler Vermehrungsbedingungen kann genetisch keine robusten Nachkommen erzeugen.

Die hohe Qualität der verwendeten Substrate beziehungsweise die Sicherung der Bodenfruchtbarkeit ist eine Grundvoraussetzung und ein wesentlicher Teil der Pflanzenvitalisierung. Verschiedene Substrate und Substratkomponenten sind im Betriebsmittelkatalog aufgelistet, woraus vorab eine wohl überlegte Auswahl für die jeweilige Kultur getroffen werden sollte. Anwendungsempfehlungen können an dieser Stelle allerdings nicht gemacht werden, weil diese immer von der jeweiligen Kultur und den Betriebsbedingungen abhängig sind.

Einsatz von Mikroorganismen

Als nächster Schritt kann überlegt werden, wie sinnvoll eine unterstützende Besiedelung der Pflanzen mit Mikroorganismen ist. Erden mit hoher Qualität und geringem Kompostanteil haben bereits eine natürliche Anreicherung mit Mikroorganismen. Unter hohem Krankheitsdruck können zusätzliche Gaben zum Beispiel mit Trichoderma- oder Bacillus subtilis-Produkten zur Steigerung des Antagonismus sinnvoll sein. Samenbeizen mit Algenstäuben oder Magnesiumkalk können auch für Keimlinge eine gute Basis schaffen, sofern die Inhaltsstoffe den Pflanzen Nutzen bringen.

Manche Kulturen reagieren positiv auf geringe Gaben mit Huminsäuren. Da diese aber auch immer eine „Zufütterung“ von Mikroorganismen bewirken, sind potentielle Auswirkungen mit zu bedenken. Auch hier kommt es auf den Versuch und die Erfahrung an.

Hohe Gaben von Mikroorganismen beispielsweise bei jungen Keimlingen können negative Auswirkungen zeigen, wie aus Berichten unterschiedlicher Praktiker hervorgeht. Generell sollte bedacht werden, dass beim Einsatz von Mikroorganismenprodukten immer auch ein Eingriff in ein sensibles System erfolgt. Sowohl Substrat als auch Pflanzen liefern eine natürliche Besiedelung, vergleichbar einer gesunden Schleimhaut des Menschen (=Mikrobiom). Das ist für die Bestimmung der Dosis und die Wiederholungsanwendungen zu bedenken.

Sind die Wurzeln junger Pflanzen bereits kräftiger entwickelt, sind bildhaft gesehen „Trainingseinheiten“ zur Abhärtung möglich. Hierfür eignen sich Mittel auf Basis von Pflanzenextrakten – auch aus eigener Herstellung oder als Nutzung von Grundstoffen möglich – sofern die Zulassung beachtet wird. Beispiele hierfür sind Algen, Brennnessel oder Zwiebelgewächse. Die jeweilige Bio-Zulassung ist dem Betriebsmittelkatalog zu entnehmen. Grundstoffe sind eine eigene Kategorie von Stoffen im Pflanzenschutzrecht wie zum Beispiel Bier, Backpulver oder Schachtelhalmextrakt, eine Liste der zugelassenen Grundstoffe findet sich auf der Homepage der AGES und sollte mit den Angaben auf der Homepage InfoXgen bezüglich der Bio-Zulassung verglichen werden.

Positiver und negativer Stress

Um die Pflanze zur Abwehr zu stimulieren, sollte mit niedrigen Konzentrationen begonnen und diese dann leicht erhöht werden. Natürlich sollte zur Abhärtung der Pflanzen auch immer die älteste Methode überhaupt, das Lüften, ins Programm einbezogen werden. Durch die Resistenzbildung kann in der Pflanze positiver oder negativer Stress ausgelöst werden. Nur eine geschulte Beobachtung der Pflanzenreaktion gibt Aufschluss über den jeweiligen Impulstransfer der Kultur. Positiver Stress kann sich bei der Pflanze mit kräftigen Zellwachstum und einem kompakten Wuchs äußern. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es aber viel Übung und eine gute Beobachtungsgabe.

KEIN PFLANZENSTÄRKUNGSMITTEL IST WIRKLICH SCHLECHT ODER GUT. ZUM RICHTIGEN ZEITPUNKT UND IN ABGESTIMMTER MISCHUNG AUSGEBRACHT, KANN ES GUT WIRKSAM SEIN, ABER AUCH UMGEKEHRT. DER EINZELFALL ZÄHLT. ABER GRUNDSÄTZLICH SOLLTE IMMER ZUERST AUF EINE GUTE BODEN- UND SUBSTRATQUALITÄT GEACHTET WERDEN, UM SICH DANN DER PFLANZE ZU WIDMEN. MAN MUSS IMMER VON DEN BEDÜRFNISSEN DER PFLANZE AUSGEHEN.

Grundlegende Orientierung beim Einsatz von Pflanzenstärkungsmitteln:

  • vitale Pflanzen mit starken Wurzeln im starken Wachstum => höher konzentrieren ist mit wenigen Einzelgaben möglich
  • labile Pflanzen mit schwachen Wurzeln => niedrig konzentrieren oder im Zweifelsfall ganz weglassen
  • unter extremen Witterungsbedingungen (Hitze, Kälteschock) => keine Anwendung! (nur stärkende Vorbehandlung zur Resistenzinduktion oder regenerative Nachbehandlung zum Ausgleich von Stress)
  • häufigere Anwendungen in kurzen Abständen bei starkem Pflanzenwachstum und schneller Entwicklung und mäßigem Befallsdruck (7 bis 10 Tage)
  • weniger Anwendungen bei stagnierenden Bedingungen und/oder niedrigem Befallsdruck (14 Tage bis 1x/Monat)
  • gezielte vorbeugende Anwendungen bei zu erwartendem hohen Befallsdruck in kurzen Abständen (3 bis 5 Tage)