Neue Kunden gewinnen
Bio hat in der Vermarktung großes Potenzial. Es gilt, die Sehnsucht der Konsumenten nach Nähe zu erkennen. Dafür braucht es Herzblut und Haltung.
Immer wieder liest man in den Medien, dass „Regional das neue Bio“ sei oder „Vegan das neue Bio“ sei. Wer sich an diesen Begriffen zu oberflächlich abarbeitet, erkennt die Potenziale für Bio dahinter nicht. Regionalität ist kein Parallelphänomen zu Bio, sondern fließend im Übergang zu den Kaufmotiven von Bio. Einige Studien sehen sogar Regionalität als stärkstes Kaufmotiv für Bio selbst. Die Schnittstelle zwischen Bio und Regionalität kann deshalb als eigentlicher Sehnsuchtsraum der Konsumenten angesehen werden.
Dieser Sehnsuchtsraum bietet Chancen, stellt aber auch Bauern und Bäuerinnen vor neue Aufgaben. Zentral ist es, zu verstehen, dass hinter dem Wunsch nach Regionalität mehr steckt als der Wunsch nach geographischer Nähe („aus meiner unmittelbaren Umgebung“). Die Erfahrung zeigt, dass selbst Produkte, die mehr als 1000 km entfernt vom Konsumenten produziert wurden, als emotional nah wahrgenommen werden können, wenn das Storytelling stimmt. Umgekehrt hilft die geographische Nähe langfristig nicht, wenn die Produzenten selbst keine emotionale Nähe zu den Konsumenten aufbauen.
Berühren statt informieren
Der britisch-amerikanische Autor Simon Sinek hat den Satz geprägt „Die Menschen kaufen nicht was man macht, sondern warum man etwas macht“. Er sagt Herzblut und Haltung sind zentrale Erfolgsfaktoren. Herzblut und Haltung sind gleichzeitig Eigenschaften, die von den meisten Biobäuerinnen und Biobauern tagtäglich gelebt werden. Diese Eigenschaften gilt es künftig viel stärker herauszustellen. Damit erweitern sich die Anforderungen an die Direktvermarkter. Wer die Sehnsucht nach Nähe bedienen möchte, muss kommunizieren!
Lange wurde Bio über reine Vernunftparameter kommuniziert. Künftig gilt es viel stärker, die Konsumentinnen und Konsumenten emotional zu berühren. Die tägliche Arbeit der Bäuerinnen und Bauern mit Tier und Natur bietet dafür zahlreiche, durch und durch authentische Gelegenheiten. Es gilt weniger, über das Was, also das eigentliche Produkt zu reden, sondern mehr über das Warum – Was treibt mich jeden Tag aufs Neue an? Was möchte ich mit meiner Arbeit als Biobauer bewirken? – und das Wie.
Soziale Medien als Chance
Soziale Medien bilden dabei die idealen Kommunikationsplattformen für Direktvermarkter. Die Ausrede „für Facebook und Instagram“ habe ich keine Zeit ist so schlüssig wie, „für das Säen habe ich keine Zeit“. Jeder, der in der Lage ist, ein Foto zu machen, ist in der Lage, „social media“ zu betreiben. Dabei muss man weder ein Fotokünstler noch ein Textkünstler sein. Bilder, die von Herzen kommen, werden auch Herzen berühren. Kürzlich erzählte mir eine Bäuerin von einem besonders schönen Moment auf dem Feld. Sonne und Licht waren ein Traum und sie dachte, dass sie diesen Moment gerne mit ihren Kunden teilen möchte. Auf die Idee, ein Bild zu machen, kam sie nicht und für Facebook habe sie sowieso keine Zeit. Wer so handelt und denkt, verschenkt Potenziale. Facebook und Instagram zu bedienen, ist sehr viel einfacher als die meisten glauben. Mit 30 Minuten in der Woche kann bereits viel erreicht werden. Ein oder zwei Posts pro Woche sind vollkommen ausreichend, um mit der Zielgruppe in Kontakt zu bleiben. Hier sind aus meiner Sicht die Bio-Verbände gefordert, ihren Mitgliedern Angst zu nehmen und die Grundlagen der Kommunikation über soziale Medien beizubringen.
Teilnehmen und binden
Neben dem Storytelling, also dem Erzählen, warum man etwas macht, wird die direkte Teilhabe der Kunden immer wichtiger. Innovative Ansätze zeigen, wohin die Reise gehen kann. Bei Crowdfarming.com oder naranjasdelcarmen.com lässt der Kunde einen Orangenbaum pflanzen und zahlt dann jährlich für die Pflege und Ernte seines Baums. Dafür stehen ihm pro Jahr 80 kg Orangen zur Verfügung. Der gepflanzte Baum trägt einen Wunschnamen, den der Kunde selbst vergibt. Für den Kunden wird so aus dem Produkt „Orange“ ein hoch emotionales Lebensmittel vom eigenen Orangenbaum. Für den Landwirt entsteht hohe Planungssicherheit, da er seine Leistung vorab vergütet bekommt.
Was wird aus vegan?
Auch Vegan ist ein Thema mit einer Schnittmenge zu Bio. Vielen Veganern geht es um Verantwortung gegenüber dem Tier und um eine gesunde Ernährung. Dabei wird das Vegan-Thema oft von der Größe der Zielgruppe her überschätzt, denn nur etwa ein Prozent in Österreich sind Veganer. Jedoch wird das Thema gleichzeitig in seiner grundsätzlichen Auswirkung auf den Markt unterschätzt. Pflanzliche Proteine gewinnen rasant an Marktbedeutung und pflanzliche Milchalternativen werden längst nicht mehr nur von Veganern oder Laktoseintoleranten gekauft, sondern werden mehr und mehr zu einem Lifestyleprodukt einer ganzen Generation.
Lust an Verantwortung
Der vegane Lebensstil ist ein sichtbarer Ausdruck davon, dass Menschen bereit sind, stärker Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Diese neue Lust an Verantwortung lässt sich deutlich auch außerhalb der engen Gruppe der Veganer identifizieren und sollte von den Bio-Verbänden aufgenommen werden. Die rasant an Fahrt aufnehmende Diskussion um Plastik ist ein weiteres Beispiel für die zunehmende Sensibilisierung und Handlungsbereitschaft der Konsumenten. Circular Economy ist längst zum Modebegriff geworden und manchmal hat man den Eindruck, dass die Bio-Branche mit offenem Mund staunend daneben steht. Dabei ist die gute alte Kreislaufwirtschaft eine der zentralen Säulen des biologischen Landbaus. Hier gilt es zum einen, die Deutungshoheit als ganzheitliches System zurück zu erobern und zum anderen auch Themen wie Verpackungsmaterial konsequenter zu bearbeiten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Gut beraten sind die Marktpartner, wenn sie sich die anstehenden Aufgaben teilen. Erzeuger sollten sich vor allem mit dem Bedürfnis nach „emotionaler Nähe zum Ursprung“ auseinander setzen. Die Verbände sollten prüfen, wie sie die neue „Lust an Verantwortung“ aufnehmen und als Rückenwind nutzen können.
Autor:
Jörg Reuter, Grüneköpfe Strategieberatung Berlin