Ein Reisebericht – Heu oder nicht Heu?

Gruppenfoto der Bäuerinnen vor dem Abflug
© BIO AUSTRIA

Eindrücke von der Bäuerinnen-Reise nach Irland von 29. August bis 3. September 2016 von Eva Maria Weingartner.

Bei über 30° im Schatten reche ich wenige Tage vor der Abreise nach Irland auf unseren steileren Wiesen händisch Heu zusammen. Die Iren können sich das bei ihrem regenreichen, milden Klima sparen, dafür entgeht ihnen auch der Duft von frischgetrocknetem Heu, meine ich.

Ein paar Tage später

Weil Frischkäseaufstrich laut Sicherheitskontrolle nicht ins Flugzeug mitgenommen werden darf, veranstalten wir in der Abflughalle ein improvisiertes Biobuffet mit regionalen Spezialitäten: steirische Mini-Pizzaschnecken, Weinviertler Trauben, Mühlviertler Käsebällchen in Öl, burgenländische Tomaten und Gemüsestreifen und ein Mostviertler Einkorn-Herzkuchen.

Drei Stunden später

Im Landeanflug auf Dublin leuchten uns goldgelbe frisch gedroschene Getreidefelder entgegen und schwarz-bunte Kühe grasen auf den Weiden daneben.

Am nächsten Tag erfahren wir mehr von der irischen Landwirtschaft auf der Mossfield Farm. Weil die Milchpreise auch hierzulande im Keller sind, entschloss sich Ralph, der Besitzer eines 120 ha großen Milchviehbetriebs 2008, eine eigene Käserei um 1,2 Mio Euro, mit 25 %iger EU-Förderung zu bauen um die Wertschöpfung selbst in die Hand zu nehmen. Seine 120 Kühe geben im Schnitt 5600 kg Milch, woraus unhomogenisierte Milch, Joghurt ohne Milchpulver und verschiedene international mit Gold ausgezeichnete Käsesorten hergestellt werden. In der Käserei sind zwei Voll- und vier Teilzeitarbeitskräfte beschäftigt. Das Melken der ca. 80 in Milch stehenden Kühe dauert zwei mal zwei Stunden am Tag. Es werden 16 Kühe gleichzeitig in einem Swing Over System gemolken. Dabei bekommen die Kühe 1 bis 2 kg einer aus Holland importierten Biofertigfuttermischung – in den drei Wintermonaten sind es 6 kg. In dieser Zeit wird auch Silage gefüttert. Braucht eine Kuh Antibiotika wird sie sofort verkauft, sonst bleibt sie 8 bis 10 Laktationen am Betrieb. Ralph hat festgestellt, dass auch das Gras besser wächst, seit er vor 17 Jahren auf bio umgestellt hat – den Kühen scheint es zu schmecken, sie machen einen gesunden und zufriedenen Eindruck.
Um 0,50 Euro pro Liter verkauft er die Milch an seine eigene Käserei, wo 5000 kg Käse im Gesamtwert von 85.000 Euro ein Jahr lang reifen. Milch bringt ihm 1,35 Euro pro Liter und kostet im Geschäft dann 2,10 Euro. Die Molkereien zahlen im Sommer 0,35 und im Winter 0,50 Euro pro Liter.

Am nächsten Tag besuchen wir einen Schafbetrieb im Westen Irlands, in der Region Connemara. Am Weg dorthin sehen wir auf saftigen Weiden wohlgenährte Schafe und Kühe grasen. Joe bildet in dem bergigen, kargen Gebiet Border Collies zu Hirtenhunden aus, die er verkauft und die ihm auch bei der Arbeit mit seinen 200 Schwarzkopf-Connemara-Schafen helfen. Vier Widder sorgen dafür, dass die Mutterschafe im April Einlinge zur Welt bringen – mehr könnten sie nicht ernähren. Im August sollten die Lämmer mit 40 kg ihr Schlachtgewicht erreicht haben. Wenn sie noch zu wenig wiegen, verkauft er sie an Bauern im Flachland, die gehaltvolleres Futter haben. 35,- Euro bekommt er für ein Lamm. Die Wolle von seinen 200 Schafen bringt ihm ca. 80,- Euro ein. Das Schafscheren demonstriert er während der Vorführungen – „täglich drei Schafe, das geht so nebenbei“, lacht er. Schließlich dürfen wir zusehen, wie ein Border Colli fünf „Demoschafe“ auf sein Kommando herumtreibt. Der Hund wirkt sehr aufgeregt im Vergleich zu den Schafen, die beinahe stoisch die Prozedur über sich ergehen lassen, so als wollten sie sagen „wir wissen schon auswendig, wo wir hinlaufen sollen, schließlich machen wir das drei Mal am Tag – von wegen dummes Schaf“. Bemerkenswert ist auch, wie liebevoll und geduldig Joe als Hausmann mit seinen zwei kleinen Töchtern umgeht, während seine Frau auswärts arbeitet. Ein geglückter Rollentausch, der allen gut tut, wie mir scheint. Bevor wir uns verabschieden, entdecken wir auf den steilen Berghängen gegenüber Rillen. Joe erzählt uns vom Versuch, während der großen Hungersnot zwischen 1845 und 1849 Kartoffeln am Berg anzubauen, was leider gescheitert ist. Überhaupt stellt die große Hungersnot ein kollektives Trauma dar, das noch immer verarbeitet wird. Wohingegen über das Verhältnis zu England nicht gesprochen wird.

Unseren dritten Exkursionsbetrieb, für alle völlig unbekannt, aber vom irischen Bioverband empfohlen, besuchen wir in der Burren-Region. Harry, ein Holländer, kam bereits mit 17 Jahren angezogen von der keltischen Spiritualität nach Irland. Zuerst hat er die Kühe auf größeren Farmen gemolken, um später eigenes Land zu kaufen, das er mit seiner Frau Maria und den fünf Kindern gemeinsam biologisch-dynamisch bewirtschaftet. Melissa, eine der Töchter, melkt ihre 40 Ziegen händisch. Sie braucht dafür eine Stunde täglich, erzählt sie und strahlt dabei. „Meine Ziegen kommen jeden Tag heim und bringen mir ihre Milch“, fügt sie dankbar hinzu. Dafür werden sie im Winter mit Heu verwöhnt – also doch. Viele Jahre haben sie gebraucht, um die Steinmauern um die 200 Acre Grund zu renovieren, die in kleinere Felder zu je 1/3 ha (das ist soviel wie ein Mann mit einem Pferd an einem Tag pflügen konnte) unterteilt und ebenfalls mit Steinmauern abgegrenzt sind. Auf dem Weg zur Farm, den wir zu Fuß zurücklegen – der Bus könnte weder parken noch umdrehen –, fallen Schritt für Schritt alle herkömmlichen Vorstellungen von uns ab, wir tauchen in eine unbekannte Zauberwelt ein und werden ruhig. Die ersten von uns überzeugt ein Schluck aus einer Quelle, die unter alten, dickbemoosten Weißdornbäumen entspringt, während der „Feenbaum“ daneben, dem eine heilende Wirkung nachgesagt wird, und von denen es über ganz Irland verstreut einige gibt, andere von uns noch skeptisch lächeln lässt. Während wir über felsiges Gelände, ähnlich unseren Kalkalpen, auf eine Anhöhe steigen, von der wir einen Überblick über die Lough Avalla Farm bekommen, entfalten die Gespräche mit Harry und Maria ihre Wirkung. Wir verstehen, wie schwer es ist, in diesem kargen Land zu leben. Wir verstehen, was es bedeutet, wenn jeder Regen mehr von dem wenigen Humus wegschwemmt. Wir verstehen aber auch, warum sie ihr Land so lieben. Es ist ein gesegneter Ort, sind wir uns einig. Ein Ort, wo Milch und Honig fließen. Aber auch eine Gegend, wo 1.000 wilde Ziegen leben und den Tieren der Farmer das Futter streitig machen. Nein, wilde Ziegen gibt es bei uns in Österreich nicht.

Best of Ireland

Neben dem schon erwähnten preisgekrönten Käse von der Mossfield Farm durften wir auch biologischen Lachs verkosten, den auch die Queen schätzt und der in die ganze Welt exportiert wird.

In der Guinnessbrauerei in Dublin fließen die Touristenströme mit dem Bier um die Wette. Der um einen Pappenstiel für 9.000 Jahre abgeschlossene Pachtvertrag mit der Stadt Dublin sollte eigentlich freie Ressourcen schaffen, um die Produktion auf Bio umzustellen. Eine Idee für eine Kooperation?

In einer Kristallschleiferei beeindruckt uns eine Demonstration des unglaublichen handwerklichen Könnens der Glasschleifer. Um als Lehrlinge aufgenommen zu werden, brauchen sie eine abgeschlossene Kunst- und Grafikausbildung. Dann lernen sie sieben Jahre, bis sie alle Muster aus dem Gedächtnis schleifen können.

Das nächste Superlativ betrifft den Phoenix Park in Dublin, der mit über 700 ha, der größte Stadtpark Europas ist. Es befindet sich darin auch ein großer ummauerter Garten in dem biologisch Gemüse gezüchtet wird.

Zwei weitere berühmte Gärten haben uns noch staunen lassen – neben Maria’s Gemüsegarten. Die Powerscourt Gardens mit über 20 ha Gartenkunst vom Feinsten. Und die wunderschönen Gärten der Kylemore Abbey, wo uns der Geruch eines Torffeuers in das entlegene Gärtnerhäuschen lockt. Beide Anwesen entstanden aus einer Synthese von Geschäftstüchtigkeit und sozialem Engagement.

Schließlich besuchten wir noch die Cliffs of Moher, mit 120 m nahezu senkrecht in den wilden Atlantik abfallenden Steilklippen.

Doch was wären all die Sehenswürdigkeiten ohne die Menschen, die sie schufen, die sie heute betreuen und die sie besuchen – also wir. Wir haben uns gefunden – 13 Biobäuerinnen (angehende eingeschlossen) und vier anverwandte Männer aus allen Bundesländern, außer den drei westlichsten, folgten dem Ruf unserer Obfrau, Gerti Grabmann. Marie-Theres, unsere Reiseleiterin und Sean, unseren Busfahrer mussten wir mit je einer Hoftafel auszeichnen – das sagt alles.

Noch ein paar Fakten und Zahlen

Die Gesamtfläche der Insel 84.116 km2 teilen sich die Irische Republik mit 70.273 km2 und Nordirland mit 13.843 km2. Kein Ort in Irland ist mehr als 100 km vom Meer entfernt. 17 % der Fläche ist mit Wald bedeckt; wir haben auch Fichtenmonokulturen, teils mit Käferschäden gesehen. 15 % des Milchpulvers weltweit stammt aus Irland. 80 % des Lammfleisches wird exportiert, wobei 60 % davon nach Frankreich gehen. 4,6 Mio Iren stehen 11 Mio Schafe gegenüber. Spürbar ist auch, dass das Durchschnittsalter der Dubliner Bevölkerung 27 Jahre beträgt. Seit dem EU-Beitritt haben sieben von zehn Bauern ihre Landwirtschaft aufgegeben. 1400 Bio-Betriebe bewirtschaften 54.122 ha, das sind 1,3 %.

Resümee

Ehrlich gestanden habe ich mir das Grün von Irlands Weiden noch „grüner“ vorgestellt. Oder liegt es vielleicht daran, dass es bei uns heuer so viel geregnet hat? Seit ich mich zu dieser Irlandreise entschlossen habe, zogen dicke graue Regenwolken übers Land, so als wollte mir das Universum sagen: „Du kannst zu Hause bleiben, wir liefern dir das Irland-Feeling frei Haus“. Wie die Iren jedoch jeden Sonnenstrahl bejubeln und ihr Glück mit ihren Mitmenschen teilen, egal ob Freunde oder Fremde, muss man schon live erleben. Ihr begeistertes „another great day today“ klingt mir noch immer nach im Ohr.

Ein Geheimtipp für Whiskeyfans: die dreifach destillierten Irischen Whiskeys wie Carlow – Writers Tears oder Teeling – Single Malt und Small Batch.
Allen Bücherwürmern, die entweder Irland-, Krimi- oder Schafliebhaber sind – wobei ich bewusst oder meine, weil ein Kriterium allein bereits ausreicht – empfehle ich das Buch „Glenkill“.